Schmerzen – eine der überflüssigsten Empfindungen – wenn man mal von der Hand am Kochfeld absieht. Dieser Schmerz ist überlebenswichtig! Dass der Mensch, der sich gerade den Finger am Kochfeld zu verbrennen droht, in Lebensgefahr schwebt, ist uns heute etwas befremdlich . . .
Gehen wir ein paar Jahrhunderte zurück: da stand unser Körper einem richtig großen Feuer sehr nahe – und es hätte nicht viel gefehlt, dass dieser Körper insgesamt bedroht gewesen wäre . . .
So ein Kochfeld ist Erdgeschichtlich gesehen noch recht frisch . . .
An dieser Stelle können wir schon zur Kenntnis nehmen, dass unsere Wahrnehmung einen sehr wichtigen Sinn hat! Unsere Wahrnehmung hilft uns zu überleben!
Es gibt aber auch andere Schmerzen: Phantom-Schmerzen – also Schmerzen die ganz ähnlich der “Wetterfühligkeit” an gar nicht mehr vorhandenen Gliedmaßen empfunden werden. Darunter leiden viele Menschen, die ihre Gliedmaßen verloren haben und das in einem Konfliktreichen Umfeld – z.B. kriegerische Auseinandersetzung geschah.
Diesem Phantom-Schmerz recht ähnlich ist ein Schmerz, der in einem völlig gesunden Körper wütet – obwohl da weder ein Geschoß, ein Schnitt oder eine heftige Prellung zu diagnostizieren ist. Oft schildern Menschen: “Der Arm tut einfach nur weh!” oder: “In der Schulter ist überhaupt keine Kraft – ich schone gerade diese Seite wo es geht.” oder: “An manchen Tagen bin ich nicht in der Lage an meinen Arbeitsplatz zu gehen.” oder: “Die ganze rechte Seite tut nur weh!” (diese Aussagen lassen sich ins Unendliche fortführen – haben alle eins gemeinsam: völlig irrational!
Und da ist das Dilemma!
“Wenn doch wenigstens das Messer sichtbar wäre, was mir im Körper steckt!”
“Wenn dieser Krampf äußerlich erkennbar wäre, würde ich mir bei den Arztbesuchen nicht so oft als Hypochonder vorkommen . . .”
Da schreit doch ein körperlicher Zustand danach gesehen zu werden!
Die Antwort ist aber leider in der Apparate-Medizin nicht zu finden! Körperlich ist alles in Ordnung! “Die Funktion ist bestens!” – (heißt doch im Klartext: “Du spinnst!”)
Gerda Boyesen prägte den Satz zur Biodynamik-Körperpsychotherapie: “Über den Körper die Seele heilen!”
Andersherum müsste es doch auch gehen: “Wenn die körperlichen Sensationen wie z.B. Schmerz, anscheinend gar keinen Grund haben, könnte es sein, dass jemand ganz anderer in diesem Schmerz weint, als der anscheinend betroffene Erwachsene . . .
Als Körperpsychotherapeut bin ich dieser Frage nachgegangen und fand – das Kind! Das Kind, welches wir einmal waren, hatte möglicherweise ein sehr heftiges Thema – welches aber niemals ausgesprochen werden durfte . . .
Was kann ein Kind – welchem von einer der geliebten Erwachsenen etwas angetan wird – ???
Die kindliche Loyalität lässt es nicht zu, dass eine offene Debatte am Küchentisch über den doofen Opa, den Onkel stattfindet – oder – gibt es auch weibliche Doofe???
Die kindliche Loyalität ist fast ein Freifahrtschein für übergriffige, sexuell manipulierende, vergewaltigende und die Persönlichkeitsgrenzen eines jeden Untergebenen missachtende Greifer – gäbe es da nicht den ehrlichen Schmerz als authentische Körperreaktion!!!
Das Thema: “Schmerz als gesunde Reaktion auf einen stark verdrängten Konflikt!” ist auch ein kulturelles Thema geworden. Unsere Familie ist einer Verfremdung und Zersplitterung anheimgegeben, die Menschenverachtender kaum mehr geht: Alles dreht sich um die Existenzsicherung, als ob es uns schlecht ergehen würde. Das zutiefst menschliche, das emphatische, das Mitgefühl ist unter die Räder der Zwänge geraten.
Wer so gar nicht glaubt in Körperpsychotherapeutische Behandlung kommen zu müssen, ist der Mensch, der doch auf der Erfolgswelle surft . . . – aber sich nicht wirklich fühlt!
Abspaltung ist ein Thema, dem sich niemand gerne stellt. Als ob ich neben mir stehe ist ein Gefühl, welches Menschen im Stress kennen.
Wenn aber das Gefühl für mich verloren gegangen ist, sucht “Es” in mir Sensationen die bis in perverseste Handlungen münden können.
Und hier ist der Täter / das Opfer kaum mehr zu unterscheiden! Das frühe Opfer wird später zum Täter . . .
So gesehen ist es nicht erst der heftige und vielleicht schon chronische Schmerz, der zu alarmieren hat, auch eine gewisse Fühllosigeit kann Alarmsignal sein!
“Mich berührt das nicht.” – kann vernünftig sein – aber innerhalb dieses “Vernünftigen” gibt es denjenigen der die “tiefere Wahrheit” kennt. Es ist oft das unklare Gefühl: “… da stimmt etwas nicht!” – welches manchmal über schmerzhafte – aber immer unangenehme Körpererfahrungen – signalisiert: “Schau mal genau! Da ist Lebendigkeit gefangen! Was wäre mein Leben ohne das . . .”
Wenn der Mensch diese Hintergründe erkannt – den alten, gut verdrängten Konflikt geöffnet hat, kommt als Wegbegleiterin die “Scham”. Ob Täter oder Opfer – ob ich mir meines “Täter-Sein” bewusst werde oder meines “Opfer-Sein” – ich schäme mich . . .
Jetzt braucht es echte Unterstützung! Das Gefühl – sich am liebsten in dem nächsten Loch verkriechen zu wollen – ist genau für sich gewahr werdende Täter UND Opfer gemacht. Wenn mich jetzt ein mich liebender und würdigender Mensch achtsam begleiten kann, in meine Würde zu finden – begleitet mich genau dieser Mensch in meine schmerzfreie und würdevolle Zukunft!
Durch diese liebevolle Begleitung erlebe ich, dass ich liebenswert bin, beginne mich zu lieben, und beginne wieder liebender Teil der Schöpfung insgesamt zu werden.
Wenn das kein lohnendes Ziel ist!
Autor: Wilfried Ott